Überfüllt

Wohnungsmangel, Enteignung, Abwanderung, Flächenversiegelung, Stau, Stickoxid, Citymaut, Bauboom, Mietwucher, Verdichtung, Fahrverbote.

Diese Liste fasst ein paar Themen der der öffentlichen Diskussion in der letzten Zeit zusammen, und sie beherrschen über die Lokalpolitik hinaus die deutsche Politik, sind aber genau genommen die Symptome nur eines Phänomens: Des kontinuierlichen Zuzugs in die Städte, und in ihre Metropolregionen. Dabei ziehen nicht nur immer mehr Menschen in die großen und beliebten Ballungsräume, sondern mit ihnen auch Firmen, die mit ihren Arbeitsplätzen die Städte für immer weitere Menschen attraktiv machen. Gemeinsam bildet sich eine Symbiose, die den Organismus Stadt immer, einem Geschwür gleich, am Wachsen hält.

Aus purer Verzweiflung angesichts der immer weiter steigenden Mieten, vor allem bedingt durch den fehlenden Wohnraum, werden gerade in München, alle verfügbaren Flächen bebaut, versiegelt oder verdichtet, offensichtlich ohne dabei einen Gedanken über die Auswirkungen zu verlieren. Weder über die unmittelbaren, noch über die mittel- oder langfristigen Auswirkungen wird in diesem blinden Aktionismus nachgedacht.

Dafür wird kurzfristig hochwertiger, teurer und steriler Wohnraum geschaffen, aber es entstehen keine gewachsenen Viertel, die für ihre Bewohner lebens- und liebenswert sind. Bestenfalls sind sie wohnenswert, was bedeutet, dass man seinen komfortablen Schlafplatz morgens verlässt, um am Abend wieder zurück zu kommen. Am Wochenende lässt man die Stadt dann lieber ganz hinter sich.

Diamalt Park
Entstehendes Viertel Diamaltpark in Allach (April 2019)

Gewachsene soziale Strukturen existieren nicht, und sie können auch kaum wachsen, verzichtet man doch tunlichst auf Treffpunkte und Rückzugsräume in den neuen Siedlungen, wie sie kleine Läden, Imbisse, Kioske und Kneipen darstellen könnten. Lebensräume im privatem Grün, also kleine Häuser mit einem Garten drumrum, das Modell wie in früheren Jahrzehnten die Stadt an ihren Rändern wuchs, werden nicht mehr neu geschaffen. Heute kommen ausschließlich Massenunterkünfte dazu während die alten grünen Siedlungen naturgemäß immer weiter verdichtet werden.

Dadurch ändert sich das Klima in unserer Stadt nicht nur im Bezug auf die Temperatur im Sommer, auch das gesellschaftliche Klima verändert sich. Darüber hinaus nehmen Verkehr, Lärm und Abgase zu. Die Belastung der Umwelt und der zurückgedrängten Natur werden größer, wofür letztendlich das Wachstum der Bevölkerung auf begrenztem, gleichbleibenden Raum, verantwortlich ist.

In schlichten Zahlen stellt sich die Entwicklung des städtischen Lebensraums so dar: Die Bevölkerung Deutschlands ist in den vergangenen 10 Jahren um 574 tsd. bzw. um 734 tsd. in den vergangenen 20 Jahren gewachsen.

Im gleichen Zeitraum ist die Bevölkerung Münchens, mit den unmittelbar angrenzenden Gemeinden, um 214 tsd., bzw. um 387 tsd. gewachsen.

Betrachtet man alle größeren Städte Deutschlands, in denen insgesamt mehr als die Hälfte der Deutschen leben, hat man in den gleichen Zeiträumen einen Anstieg  von 1270 tsd. bzw. 1959 tsd. Personen. [1] Die Tendenz ist also in ganz Deutschland identisch, wenn auch nicht in der Ausprägung wie in München.

Zur Verdeutlichung:
Während Deutschand ein Bevölkerungswachstum von nur 0,9% im genannten Zeitraum hat, hat München um 21% zugelegt.

Grafik der Bevölkerungsentwicklung

Wir haben eine Spirale in Gang gesetzt, die früher oder später zum Kollaps führen muss. Die Städte, vorne weg die attraktiven Millionenstädte wie u.a. München, werden zusammenbrechen unter Verkehr, Bevölkerungsdichte – derzeit ist München mit 4686 Einwohner pro km² die Stadt mit der größten Bevölkerungsdichte in Deutschland [2] – Preisexplosion und Umweltbelastung.

Manche ländlichen Regionen werden faktisch entvölkert, wirtschaftliche und soziale Strukturen brechen zusammen und langfristig werden Agraröden entstehen, die von großen industriell geführten Konzernen übernommen werden.

Ist diese Entwicklung oder, kann diese Entwicklung im Sinne unserer Gesellschaft sein? Kann und darf unsere Politik das hinnehmen oder gar fördern wie es derzeit geschieht?

Ich denke nicht!

Wenn sich die Politik bemüht, immer mehr Wohnraum und Gewerbeflächen zu schaffen, um den Bedarf zu decken, immer weiteres Wachstum zu ermöglichen, in einem Land das insgesamt kaum wächst, muss das zu Lasten anderer Regionen gehen.

Den derzeitigen Weg, Wohnungsmangel durch noch mehr Neubauten und Verdichtungen in Ballungsräumen zu bekämpfen, kann man mit einem Feuerwehrwagen vergleichen, der immer mehr Öl ins Feuer kippt, um es zu löschen und sich dabei wundert, dass sich der Brand weiter ausbreitet.

Wenn man sich dazu noch vor Augen hält, dass in manchen Regionen massiv leerstehende Wohnungen abgerissen werden, pikanterweise gefördert durch öffentliche Kassen, von denen ebenso eine Förderung von neuem günstigen Wohnraum erwartet wird, hat die Entwicklung etwas Absurdes. Wäre es nicht sinnvoller die Mittel dafür einzusetzen, dass man auf dem Land gerne leben mag und kann?

Derzeit nämlich wandern die Menschen in großem Umfang in die Ballungszentren ab, und das, obwohl die wenigsten gerne ohne triftigen Grund oder Not ihre Heimat verlassen. Wo aber liegen die Gründe für die innerdeutsche Migration?

Die wesentlichen Gründe liegen im Angebot von Arbeitsplätzen, so wie der Infrastruktur.


Ein massives Gegensteuern zu diesen Entwicklungen ist längst überfällig umso mehr , je länger sich die Politik verweigert, die Ursache für die aktuellen Probleme zu erkennen, zu  akzeptieren und sie zu beheben. Es wird nur versucht, die Symptome zu lindern, aber nicht die Ursache bekämpft. So als würde ein Zahnarzt bei Karies, die langsam den Zahn zersetzt, nur Schmerzmittel verschreiben.

Was könnte man tun?
Es ist dringend geboten, den ländlichen Raum aufzuwerten, Strukturen zu stützen, bevor sie ganz zusammenbrechen, und auch wieder neue Infrastruktur zu schaffen. Im gleichen Maße sollte man ein weiteres, fast ungehemmtes Wachstum und eine immer weitere Verdichtung von Städten wie München unterbinden.

Derzeit fehlt es auf dem Land oft an alltäglichen Dingen, wie einem ÖPNV, der zeitlich und räumlich engmaschig die Mobilitätsbedürfnisse abdeckt, es fehlt an vernünftigen Internetverbindungen, an Ärzten, Schulen und Kindergärten und nicht zuletzt an Arbeitsplätzen und Einkaufsmöglichkeiten – genaugenommen an der gesamten Infrastruktur, die für gute Lebensverhältnisse erforderlich ist.

Alle Bedürfnisse ließen sich durch den Einsatz von öffentlichen Mitteln relativ zeitnah besser bedienen. Die Ansiedlung von Unternehmen könnte gefördert werden und mit mehr Menschen in der Region würden auch sehr schnell zusätzliche Geschäfte und andere Betriebe eröffnen, wenn wieder größere Gewinnaussichten aufgrund der Kaufkraft in der Region entstehen.

Ja, es wäre teuer und für den Steuerzahler zunächst defizitär! Aber, wer kann die Kosten beziffern, die unsere Gesellschaft langfristig zu tragen hat, wenn unsere Städte unter Staus, Überbevölkerung und sozialen Konflikten kollabieren, die Nahrungsmittelproduktion auf dem entvölkerten Land zur Steigerung der Effizienz, in großen umweltbelastenden Monokulturen, überwiegend von Großkonzernen übernommen wird und sich soziale Strukturen in allen Regionen immer weiter zersetzen?

Auf der Seite der Ballungszentren wäre dem Wachstum und der weiteren Verdichtung einfacher zu begegnen, als den Problemen in den ländlichen Regionen:

Man könnte wieder auf die aus den 50er und 60er Jahren bewährten Systeme der Stadtentwicklung zurückgreifen, Neubaugebiete nur mit einer geringen Geschoßflächenzahl für Einfamilienhäuser ausweisen, eine weitere Verdichtung nur zulassen, nachdem man eine geeignete Verkehrsinfrastruktur, öffentlich wie privat, etabliert hat, und weitere Gewerbeansiedlungen unterbinden, z.B. durch ein Begrenzen der Flächen und eine Steuerung über die Gewerbesteuer.

Für viele Politiker stellt das ein Schreckensszenario dar:
Weniger Arbeitsplätze, weniger Einnahmen, weniger Gewinn und weniger Wohlstand. Ein Denkansatz, der unserem derzeitigen gesellschaftlichen Selbstbild grundsätzlich widerspricht, das von einem stetigen Wachstum in allen Bereichen ausgeht, und die Notwendigkeit von mehr Wohnraum in den Städten nicht in Frage stellt.
Dieses Szenario würde einerseits die Stadt entlasten, was Wohnungsmangel, Verkehr und Umwelt beträfe,  weniger Menschen anziehen, die dann nicht aus anderen Regionen abwandern würden, und andererseits langfristig die Lebensqualität in allen Regionen erhöhen.

Man darf natürlich nicht übersehen, dass gerade eine Phase des Umsteuerns zu massiven Verwerfungen führen würde, durch dann erst recht explodierende Mieten würde sich der Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt weiter intensivieren, bis man letztendlich ein Niveau erreicht hat, das auch andere Regionen attraktiver macht – je mehr diese gefördert werden, desto schneller.

Aber auch ein Drogensüchtiger kann nicht geheilt werden, indem er immer mehr seines Suchtmittels konsumiert, sondern nur dadurch, dass es entzogen wird – so hart es sein mag. Leider kenne ich derzeit keine einzige politische Partei, die nicht mehr Wohnraum schaffen will.

Auch wenn der Sachverhalt leicht anders ist, kam mir beim Schreiben dieses Artikels immer wieder das Zitat eines Wirtschaftswissenschaftlers in den Sinn:

Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum kann andauernd weitergehen in einer endlichen Welt, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.

Kenneth Ewart Boulding

Quellen:

[1] Alle Bevölkerungsdaten von destatis.de Stand 17.04.2019

[2] Daten von Wikipedia.de Stand 07.05.2019