Der Schulranzen oder die Diktatur der Geschlechternormen

Das 6. Lebensjahr bringt einen neuen Lebensabschnitt mit sich, die Schule. Man fiebert ihr entgegen, freut sich darauf und hat gleichzeitig ein bisschen Angst, vor dem was da kommt und vor allem vor der Ungewissheit.

Das gilt vor allem für die ABC-Schützen, aber auch für die Eltern – selbst wenn deren Ungewissheit beim zweiten Kind nicht mehr ganz so groß ist. 

Die Routine bleibt auch weitgehend gleich: Schultüte aus dem Kindergarten, Schuluntersuchung, Schuleinschreibung und Schulranzen kaufen.

Schulranzen?
Moment, das kann schwierig werden, es sind eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen: Zweckmäßig soll er sein, leicht, reflektieren und auch die vier Grundschuljahre überstehen. Ach ja, gefallen sollte er dem Sprössling natürlich auch noch.

Während bei Sohn eins von vorne herein feststand, das irgendwelche martialischen Ninjas darauf zu sehen sein müssen, hat Sohn zwei noch keine rechte Vorstellung wie seine Tasche aussehen soll.

Seine Lieblingsfarbe ist rosa, er liebt Tiere und alles was glitzert. Mit einem etwas unguten Gefühl setze ich ihn ins Auto und wir fahren los, Ranzen kaufen.

Es ist keineswegs so, dass ich ein Problem mit einer rosa Glitzertasche mit aufgedruckten Pferden auf dem Rücken meines Sohnes hätte, male mir aber aus, wie vielleicht die anderen Kinder auf die „falsche“ Farbe reagieren könnten. Ich bin mir nicht sicher wie stark bei Kindern der erste Eindruck zählt, aber ich vermute, dass ein Kind sich leichter tut seine Position in der Gemeinschaft zu finden, wenn es nicht von vorneherein heraus fällt.

Außerdem wird der Schulranzen vielleicht schnell unattraktiv, wenn es erstmal genügend Sticheleien gab  und so billig, um gleich wieder einen neuen zu kaufen, sind die Dinger auch nicht.

Mit diesem Artikel im Hinterkopf, den ich vor einiger Zeit gelesen hatte, fahre ich also zum Taschenhändler und hoffe, dass auch an mir der Kelch vorüber geht – anderenfalls werde ich spontan entscheiden was zu tun ist.

Wir betreten also den Laden und sehen auf den ersten Blick nur Hässlichkeiten – brav sortiert nach Jungen und Mädchen und, in der Mitte einige neutrale Modelle, die nicht schön, aber qualitativ hochwertig sind. Puh, denke ich und lenke meinen Sohn vorsichtig in die Mitte. Seine Begeisterung hält sich in Grenzen, aber letztendlich passen die riesigen Klötze nicht wirklich bequem auf seinen Rücken.

Daraufhin macht er sich selbst auf die Suche und findet den wohl schönsten Ranzen – in der Mädchenabteilung. Weiß, schlicht mit ein paar zarten rosafarbenen Glitzerherzen und Blumen darauf. Nicht kitschig, wirklich schön.
Ja, Geschmack hat er, denke ich , während ich überlege, wie ich jetzt weiter vorgehe. Schön ist er ja, aber nach heutigen Gewohnheiten eindeutig und ausschließlich für Mädchen.

Ich beschließe ihn noch weiter durch den Laden zu geleiten, um etwas Zeit zu gewinnen. Viel Hoffnung mache ich mir nicht, hatte ich ja schon zugegeben , dass das Modell der Wahl wirklich schön sei.

Nach ein paar Minuten kommen wir zu den Ninjaranzen, in Mitten der anderen Hässlichkeiten wie Monstertrucks, Dinos und Starwars-Kriegern.

Ja, so eine Schultasche könnte es auch sein, schließlich spielt man ja gerne Ninja, zum anderen wäre der große Bruder sicher auch ein wenig neidisch.

Die Chance! Gegen meine Überzeugung bestärke ich seine Wahl und wir verlassen zufrieden das Geschäft und haben fortan zwei Schultaschen mit aufgedruckten Ninjas, in verschiedenen Farben im Haus.

Kind mit Schulranzen
Der Schulranzen der Wahl

Ich freue mich, dass alles so gut und reibungslos geklappt hat und ärgere mich darüber, ihn nicht bestärkt zu haben, die in unser beider Augen schönste Schultasche zu nehmen.
Einerseits ist es natürlich Rücksicht auf den eigenen Sohn, ihn von etwas abzuhalten, womit er schlechte Erfahrungen machen könnte, andererseits unterstütze ich damit nur die Denkweise engstirniger, intoleranter Menschen, die selbst nicht über ihren Tellerrand hinaus denken können und für die gerade die unbedingte und korrekte Einhaltung von „Geschlechternormen“ essenziell und von scheinbar vitalem Interesse ist.

Diese Leute, egal ob Kind oder Erwachsene zwingen anderen faktisch ihren Willen und ihre Weltsicht auf, weil … weil die Toleranteren es mit sich machen lassen und der Klügere(?) nachgibt.

Gerne würde ich sagen, das war das letzte Mal, dass ich so entschieden habe, aber, wie werde ich handeln, wenn einer meiner Söhne plötzlich auf die Idee kommen sollte, er möchte ein Kleid tragen in der Schule?
Nach meiner Überzeugung?