Klarnamen als Pflicht

Manfred Weber (CSU) fordert in seinem Europawahprogramm die Pflicht zur Angabe seines amtlichen Namens bei Aktivitäten im Internet.

Nach diversen anderen Regelungen und Vorhaben ist das ein weiterer Versuch, immer neue Regelungen zur Begrenzung oder Überwachung der Internetnutzung zu erlassen.
Dabei wird wieder einmal nicht wirklich deutlich, ob die Forderungen auf einer tiefgreifenden Unkenntnis der sozialen Funktionen des Internets beruhen, oder ob eine einfache Überwachung der Bürger durch den Staat gewährleistet werden soll.

Nach Webers Logik schützen Klarnamen das Netz und dessen Nutzer vor Illegalen Aktivitäten, weil einerseits namentlich bekannte Nutzer nie irgendjemand beleidigen würden, und sich natürlich auch alle anderen Straftäter brav an die Vorschrift halten werden, ihren richtigen Namen anzugeben, bevor sie etwas Illegales planen.

Solange also der Zugang zum Internet nicht komplett, durch eine persönliche Authentifizierung, wie sie manche, wenig demokratischen Staaten anstreben, erfolgt, dürften solche Vorschriften wirkungslos bleiben.

Die einzige Wirkung wäre die, dass manchen Personengruppen der Austausch im Web nicht mehr möglich wäre, bzw. sie dabei ein Gesetz brechen müssten.

Ich denke dabei beispielsweise an Opfer häuslicher Gewalt, die sich in Foren austauschen, an Vertreter von politischen Ansichten, die mit Attacken rechnen müssten, an nicht geoutete Menschen aus der großen Gruppe der
LSBTIQ*, und vielen andren mehr, die triftige Gründe haben, sich nicht mit ihrem Namen öffentlich hinzustellen und ihr Anliegen in die Welt zu schreien.

Und nicht zuletzt denke ich an den braven CSU Wähler, der einfach nur eine gewisse Symmetrie in im Informationsaustausch beibehalten will:
Außerhalb der Webs begegne ich Leuten, ich sehe sie, und sie haben meist die Möglichkeit mich zu sehen.
Stellt man sich mit seinem Namen vor, passiert das üblicher Weise gegenseitig, genau so, wie in einem persönlichen Gespräch persönliche Informationen und Ansichten auch in ähnlichem Umfang mitgeteilt werden.

Ist man dagegen mit seinem Namen im Netz auffindbar, kann der Suchende eine Vielzahl an Daten zusammentragen, ohne dass der Gesuchte auch nur etwas davon ahnt.
Ist jeder immer mit seinem Klarnamen präsent, geht die Kontrolle über die persönlichen Informationen vollends verloren.

Vor über 20 Jahren hat sich bereits das höchste Gericht der USA mit diesem Thema befasst und jetzt fängt die CSU an, darüber nachzudenken…

Der Supreme Court der USA im Fall McIntyre v. Ohio Elections Comm’n 514 U.S. 334, 357 (1995) 
Anonymität ist ein Schutzschild gegen die Tyrannei der Mehrheit. Sie veranschaulicht den Sinn des Bill of Rights, und das erste Amendment im Speziellen: unpopuläre Personen vor Vergeltung zu schützen, ihre Ideen vor Unterdrückung zu schützen und vor den Handlungen einer intoleranten Gesellschaft. Das Recht anonym zu bleiben, darf nur dann verletzt werden, wenn es betrügerisches Verhalten schützt. Aber die politische Rede hat von ihrer Natur her manchmal unangenehme Konsequenzen, und im Allgemeinen räumt unsere Gesellschaft dem Wert der freien Rede größeres Gewicht als der Gefahr ihres Missbrauchs ein.

Quelle